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Der Interkomprehensionsansatz und die germanischen SprachenKlein und Stegmann 2000 haben mit ihrem Interkomprehensionsansatz für die
romanischen Sprachen gezeigt, wie man auf der Grundlage einer gut gelernten
romanischen Sprache (sie benutzen als Beispiel das Französische) auch mit den
entsprechenden Strategien relativ schnell Lesefertigkeiten, also rezeptive
Kenntnisse (daher Interkomprehension) in den anderen romanischen Sprachen
erlangen kann. Dieser Ansatz ist insbesondere aus lernpsychologischen Gründen
sehr zu begründen (und zu begrüßen), weil trotz aller Anstrengungen innerhalb der
EU, Mehrsprachigkeit nicht nur zu propagieren, sondern auch umzusetzen,
Sprachenlernen nicht zu den Aktivitäten zählt, die in Schule, Universität oder
anderen Bildungseinrichtungen sehr intensiv verfolgt werden[1].
Sprachenlernen gilt als mühselig, zwar selbstverständlich, aber nicht
direkt Karriere leitend, und mit Englisch als Lingua Franca glauben viele
allzu oft, ihre Fremdsprachenkenntnisse erschöpfend ausgebildet zu haben.
Meißner und Reinfried 1998 ergänzen diesen Ansatz durch eine – auch
auf die romanischen Sprachen bezogene – Mehrsprachigkeitsdidaktik,
der zeigt, wie gelenkte und auch selbst gesteuerte Lernsituationen aussehen
können, um von einer Fremdsprache zu verwandten anderen Fremdsprachen kommen zu
können. Im Gegensatz zu populären romanischen Fremdsprachen – neben dem Französischen – wie Spanisch oder Italienisch gehören die meisten germanischen Sprachen nicht zu den typischerweise gelernten Fremdsprachen in Deutschland. Die Existenz von einigen sehr vitalen Skandinavistik-Abteilungen an deutschen Universitäten und vielleicht noch einigen kleineren Niederlandistik-Abteilungen kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass germanische Sprachen weder häufig gelernt werden noch an Bildungseinrichtungen wie zum Beispiel den Volkshochschulen oft angeboten werden. Englisch als prominenteste Vertreterin einer scheinbar germanischen Sprache überdeckt alle anderen germanischen Sprachen, und es zeichnet sich immer mehr ab, dass überall dort, wo Englisch als die erste Fremdsprache gelernt wird, alle Motivation für das Lernen einer oder mehrerer weiterer Fremdsprachen verschwindet: "Wer mit Englisch für alle beginnt, erschwert das weitere Fremdsprachenlernen, denn nach der zumindest am Anfang 'leichten' und scheinbar universell brauchbaren Sprache fehlt die Motivation, andere Sprachen zu lernen" (Krumm 2002, 75). Gefordert werden vor diesem Hintergrund inzwischen vielerorts Curricula, die Englisch frühestens als zweite Fremdsprache vorsehen, um zumindest das Lernen einer weiteren Fremdsprache als L2 zu garantieren, wie es das Weißbuch der Europäischen Kommission (1996) vorsieht. Leider scheinen die Entwicklungen innerhalb und außerhalb der EU eher in eine andere Richtung zu gehen: Die Bildungsdirektoren der 6 Zentralschweizer Kantone Luzern, Uri, Schwyz, Ob- und Nidwalden, Zug haben bereits im Juni 2001 beschlossen, Englisch ab der 3. Klasse einzuführen und dies spätestens zum Schuljahr 2005/06 (pers. Information Monika Mettler, Bildungsplanung Zentralschweiz, per e-mail am 20.8.2002). Abgesehen vom innerpolitischen Schaden, der dadurch als Signal an die anderen Kantone ausgeht, ist auch hier abzusehen, dass die SchülerInnen immer weniger Französisch oder Italienisch (oder gar Rätoromanisch) als weitere Landessprachen wählen werden, wenn sie erst einmal Englisch gelernt haben. Die Frage ist, inwiefern man mit bildungstheoretischen, politischen oder
lernpsychologischen Begründungen z.B. Eltern davon überzeugen kann, dass ihre
Kinder auch in der 7. Klasse noch sehr gut Englisch als eine zweite
Fremdsprache lernen können und dass eine andere erste Fremdsprache als Englisch
sinnvoll sein kann. Für das Lernen von Englisch sind Kinder und Jugendliche
auch später noch motiviert. - Möglicherweise kann es aber auch strategisch
klüger sein, mit einem Interkomprehensionsansatz andere germanische Sprachen
nach Englisch besser anzubieten. Nicht umsonst heißt die erste Lektion eines
schwedischen Lehrwerks ”Deutsch gratis” (Elfving Vogel
u.a. 1998): Da die Lernenden bereits Englisch können, brauchen sie beim Lernen
des Deutschen nicht wieder bei Null anzufangen, weil sie bereits vieles
ableiten und erschließen können. Aus der Not eine Tugend machend können
vielleicht zweite und weitere Fremdsprachen attraktiver gemacht werden. Mit
diesem Ansatz wird oft Deutsch als Fremdsprache in Osteuropa oder Nordamerika
vor dem endgültigen Aus gerettet. Aus Sicht des Deutschen als L1 und Englisch als L2 – und Englisch ist in den allermeisten Fällen im
deutschsprachigen Raum die erste Fremdsprache – kann
das gleiche Argument für etliche der anderen germanischen Sprachen gelten: Wer
mit Deutsch aufgewachsen ist und Englisch in der Sprachbiografie hat, hat eine
gute Basis für viele andere germanische Sprachen. Mit ein wenig Anstrengung ist
eine niederländischsprachige Konversation zu verstehen, ein dänischer oder
schwedischer Text zu lesen. Man darf sicher nicht vergessen, dass Englisch sich
durch die romanischen Einflüsse gerade im lexikalischen Bereich weit von den
anderen germanischen Sprachen entfernt hat, dennoch ist es ein gut brauchbares
Sprungbrett als Brücken- oder auch Kontrastsprache. Man darf allerdings auch
nicht vergessen, dass in einigen Fällen die Erschließung über das Englische ein
unnötiger Umweg wäre; so ist die Ableitung von Deutsch Fenster zu Schwedisch fönster
kürzer als über das englische window.
Lernt man allerdings Norwegisch (zur Unterscheidung der beiden Sprachen
Neunorwegisch (Nynorsk) und Bokmål etwas mehr weiter unten), so hilft das
Englische durchaus: vindu. D.h. für
Menschen, für die Deutsch (eine) L1 ist, muss immer wieder überlegt werden, in
welchen Fällen beispielsweise beim Lernen einer skandinavischen Sprache oder
des Niederländischen das Deutsche die geeignete Basis ist und in welchen Fällen
eher Englisch. Die innerskandinavische
Forschung kann hier genau so wie die innerskandinavische Kommunikation als ein
Beispiel gelten, wie das Miteinander von ähnlichen und doch eigenständigen
Sprachen funktionieren kann. Es gibt eine lange Forschungstradition, in dessen
Rahmen sowohl sprachsystematische Vergleiche angestellt wurden und werden
(Bergman 41979, Braunmüller 21999, Hutterer 41999)
als auch die innerskandinavische (Semi)kommunikation untersucht und beschrieben
wurde (z.B. jüngst Warter 2002). |
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